Paadorf: Das jüngste Dorf im Böhmerwald

 

Jahrestreffen der ehemaligen Bewohner der „verschwundenen“ Dörfer gibt es noch immer viele. Dazu gehört auch die Andacht an der Binhacken-Kapelle bei Paadorf, die meist im Juni, kurz nach dem Grafenrieder Treffen, stattfindet. Dabei könnte der Gegensatz zwischen den beiden Nachbarorten kaum größer sein, ist doch nachweislich Grafenried der älteste Ort in der Gegend und Paadorf der jüngste. Und während Grafenried durch die Ausgrabungen wieder auferstanden ist und wohl der am besten erforschte sudetendeutsche Ort überhaupt ist, liegt über den Ruinen von Paadorf das Dickicht der Wälder, die nach 1946 wieder Besitz von dieser jüngsten Rodung des Böhmerwalds ergriffen haben. Denn Paadorf wurde erst 1875 gegründet, und das von einer Privatperson: Es war Wenzel Paa, der auf eigene Faust den Wald rodete und die ersten Häuser baute. So wollte er für jedes seiner fünf Kinder den Lebensunterhalt in der ebenso überbevölkerten wie kargen Gegend gewährleisten. Stur ignorierte Wenzel Paa die Einlassungen und Strafandrohungen der Behörden, die hier eine illegale Kolonisierung sahen. Legendär ist seine Antwort: „Weil meine Kinder keine Butzlköüh essen können.“ Erst 1921 kam aus Prag nachträglich die Bauerlaubnis, und schließlich wuchs Paadorf auf 36 Häuser an. Die Hausnummern wurden zusammen mit denen des nahen Oberhütten gezählt, wo Wenzel Paa herstammte.

 

Wesentlich älter als der Ort war die nahe Binhacken-Kapelle, so benannt nach ihrem Stifter, dem Steuereintreiber Anton Binhack, der auf der Rückkehr aus Steinlohe hier mitten im Wald überfallen wurde und in Todesnot die Muttergottes anrief. Erbaut wurde das Kirchlein zwischen 1708 und 1719. In der Folge war die Kapelle ein Wallfahrtsort, zu dem die Frauen einzeln oder in kleineren Gruppen pilgerten. Nicht so viel Glück wie Anton Binhack hatten vier US-Soldaten, die bei Kriegsende am 28. April 1945 hier, wie der Ortsgründer, in einen Hinterhalt gerieten und ihr Leben verloren. Wie die Kapelle wurde auch Paadorf um 1955 abgerissen. Eine riesige Kaserne dominierte die fortan in der Sperrzone liegende Wüstung. Der neue, fast zwanghaft wirkende Ortsname Hraničná, „Grenzdorf“, wurde nicht einmal von den tschechischen Soldaten akzeptiert: Intern verwendeten sie einfach „Pádorf“.

 

Heute ist die Dorfstelle am einfachsten von Steinlohe aus zu erreichen. Die Kaserne wurde abgerissen, der Dorfweiher renaturiert. So ist wieder tiefer Frieden eingekehrt. Inmitten der Grundmauern der Kapelle steht nun ein schöner Bildstock, der auf die Initiative ehemaliger Bewohner errichtet wurde. In sich birgt er die Bitte: „Mutter Gottes, zeige uns den richtigen Weg“. Das letzte noch stehende Haus wird vielleicht bald touristischen Zwecken dienen, so dass die Besucher von Grafenried hierher einen Abstecher machen könnten.

 

Ein für die bayerisch-böhmische Grenzgeschichte wohl einmaliges Kuriosum besteht darin, dass 1948 der Enkel des Ortsgründers bei Rötz ein neues, wenn auch klein gebliebenes Paadorf gründete: In dem bei Hetzmannsdorf gelegenen Weiler besteht auch das alte Paadorf fort.